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Israel
I. Die Bedeutung
Israels
1. (K)ein Volk wie jedes andere
Israel ist in vieler Hinsicht eine außergewöhnliche Nation. Schon die Tatsache,
nach jahrhundertelanger Zerstreuung über die ganze Welt - oft unter
schwierigsten Bedingungen und Verfolgung - heute wieder einen eigenen Staat zu haben, kann
meines Wissens kein anderes Volk vorweisen.
Es vergeht kaum eine Woche, in der dieses Land nicht in den Nachrichtensendungen
und Zeitungsberichten der Weltöffentlichkeit auftaucht. Dabei ist Israel weder
an Fläche noch an Einwohnerzahl besonders groß, auch Bodenschätze sind so gut
wie nicht vorhanden.
Viele Menschen fühlen, dass Israel eben doch kein Volk wie jedes andere ist.
Die große Masse bleibt freilich meistens ratlos und unentschlossen und kommt über ein
Erstaunen und vages Ahnen nicht hinaus. Bei anderen entwickelt sich sogar eine
entschiedene, an Hass reichende Ablehnung Israels und der Juden; in der
extremsten Form (bisher) bei Hitler und seinen Anhängern sichtbar.
Es würde mich freuen, wenn dieses Kapitel auch dazu beiträgt, dass eine
positive Einstellung Israel gegenüber für jeden Christen wieder eine
Selbstverständlichkeit wird. Denn eines ist Israel auf jeden Fall: ein Beweis
für Gottes Treue und für die Wahrheit und Zuverlässigkeit der Bibel.
Es ist hier nicht möglich, eine umfassende Darstellung über Israels Geschichte
und Zukunft zu geben. Dennoch kann die Bedeutung Israels in der Endzeit nur
dann richtig verstanden werden, wenn auch die wesentlichen Grundlagen bekannt sind, die
seine Existenz bestimmen.
2. Der Bund Gottes mit Israel
Das Alte Testament berichtet von dem Bundesschluss Gottes mit dem Volk Israel.
Beginnend mit Abraham erwählt sich Gott ein Volk zum Eigentum. Ein Volk, dem er
sich in ganz besonderer Weise offenbaren will und durch das er sich der Welt in
ganz besonderer Weise offenbaren will. Diese Erwählung wird vor dem Auszug aus
Ägypten und auch danach mehrfach deutlich wiederholt. Israel selbst bestätigte
auch seinerseits öfters diesen Bund. Ich gehe davon aus, dass die wesentlichen
Bibelstellen hierzu bekannt sind und erwähne daher nur eine kleine Auswahl:
1.Mose 17,1ff; 2.Mose 3,6-8; 24,3-8; 5.Mose 7,6-8; 29,1ff; Jos. 24,15-25. Im
Grunde sind es mehrere Bundesschlüsse: Zunächst der Bund mit Abraham später dann der
mosaische Bund (der Bund vom Sinai und im Lande Moab). Der mosaische Bund
bestand aus gegenseitigen Rechten und Pflichten. Während sich die Israeliten
großer Segnungen sicher sein durften, wenn und solange sie den Bund mit Gott
treu befolgten, so wurden sie auch vor den Folgen des Nichtbeachtens der
Bundespflichten gewarnt. Der mögliche Segen und der mögliche Fluch werden u.a.
in 5. Mose 28 aufgezählt. Ein Kapitel, das treffend wie vielleicht kein anderes
Israels (Leidens-)Geschichte beschreibt. Eine der angekündigten Strafen und
eines der vielen Beispiele für die Genauigkeit biblischer Vorhersagen war die
Warnung, dass Israel bei beständigem Ungehorsam das verheißene Land wieder
verlassen und unter die Völker zerstreut werden sollte.
3. Israels Verhalten und die
Folgen
Für uns heute ist es natürlich wesentlich einfacher als es für die damals
Lebenden war, Israels Geschichte in die Aussagen der Bibel einzuordnen. Im
Rückblick lassen sich Zusammenhänge immer viel leichter erkennen, während die
Zeitgenossen der Propheten auf die Erfüllung mancher Vorhersagen jahrzehntelang
oder noch länger warten mussten.
Zusammenfassend gesagt, handelte Israel trotz großer Zeiten wie unter
König David, trotz großer Erweckungen wie unter König Hiskia, im Großen und
Ganzen leider oft gegen Gottes Willen. Die Teilung Israels in zwei Reiche nach dem
Tode Salomos, die Zerstörung des Nordreiches (Israel) durch die Assyrer 722 vor
Christus sowie das Babylonische Exil für das Südreich (Juda) waren Folgen
dieses Ungehorsams. All dies war aber nur ein Vorgeschmack für das, was noch
kommen sollte: Nach der Ablehnung Jesu als Messias begann der jüdisch-römische
Krieg (66 - 73 n.Chr.). Im Jahre 70 wurden Jerusalem und der Tempel durch die
Römer zerstört. Eine letzte Erhebung (der so genannte Bar Kochba Aufstand)
scheiterte 135 n.Chr. Der jüdische Staat hörte auf zu bestehen, die
überlebenden Juden wurden in alle Welt zerstreut.
Natürlich dürfen diese Zusammenhänge niemals ein Vorwand zu einer
judenfeindlichen Einstellung oder gar Handlung sein, aber auch hier müssen die
Aussagen der Bibel beachtet werden: Jesus selbst erklärte etwa die Zerstörung
Jerusalems als Folge seiner Ablehnung (Lk. 19,41-44). Man beachte allerdings auch,
dass Jesus bei dieser Aussage über seine Stadt weinte und von der Schadenfreude
manch späterer Christen weit entfernt war.
4. Gott hat sein Volk dennoch
nicht verworfen
Auch heute noch gibt es Menschen mit der Meinung, Israels Erwählung gelte nach
all dem Versagen und all der Schuld nicht mehr, alle Verheißungen und
Vorhersagen für Israel seien hinfällig oder bestenfalls auf die Gemeinde
übergegangen. Eine Meinung, die von der Bibel (und mittlerweile auch von den
tatsächlichen Ereignissen) her, nur als Trugschluss bezeichnet werden kann. Im
Anhang unten setze ich mich damit detailliert auseinander.
Israel ist nach wie vor Gottes erwähltes Volk! Gott hat seine speziellen Pläne
und Ziele mit Israel nicht aufgegeben, trotz aller Fehler und Vergehen. In 3.Mose
26 erwähnt Gott all die Folgen des Ungehorsams wie Krieg und Hungersnot, fährt
dann aber fort (V.44.45): „Jedoch, auch wenn
sie im Land der Feinde sein werden, so will ich sie nicht so verabscheuen, dass
ich ein Ende mit ihnen mache oder meinen Bund mit Ihnen breche; denn ich, der
Herr, bin ihr Gott. Und ich will zu ihren Gunsten an meinen ersten Bund
gedenken, als ich sie aus dem Land Ägypten herausführte vor den Augen der
Heidenvölker, um ihr Gott zu sein. Ich bin der HERR.“
Und Paulus schreibt (Röm. 11,1.2):
„Ich frage nun: Hat Gott etwa sein Volk
verstoßen? Das sei ferne! (...) Gott hat sein Volk nicht verstoßen,
das er zuvor ersehen hat.“
Wenn aber Gottes Bund mit Israel
(d.h. der Bund mit Abraham) nach wie vor gilt, so bedeutet dies nichts anderes,
als dass auch die unerfüllten Verheißungen und Aussagen in Bezug auf Israel
noch eintreten werden.
II. Israel als Zeitmesser
Dieser Ausgangspunkt ist überaus bedeutsam, da dadurch Israel zu einer Art
Zeitmesser wird. Es gibt nämlich eine ganze Reihe von Bibelstellen, die einen
sehr deutlichen Endzeitbezug haben, in denen gleichzeitig aber auch Israel
erwähnt wird.
Dies ist in zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen vermitteln diese Stellen
einen ungefähren Eindruck von dem, was noch geschehen wird, zum anderen helfen
sie, die Ereignisse, die um uns herum stattfinden, in Gottes Zeitplan
einzuordnen.
Die relevanten Stellen über Israel in der Endzeit lassen sich grob um 3
Ereignisse herum gruppieren, die im Folgenden näher betrachtet werden. Die weitaus
meisten Stellen handeln von einem groß angelegten Angriff auf Israel durch
andere Staaten, der am Ende der Zeit stattfinden soll. Andere Bibelstellen
sprechen von einem zukünftigen Tempel und Opferdienst und einige
außerdem noch von einem Bündnis zwischen Israel und einer Person, die gemeinhin
als Antichrist bezeichnet wird und uns in anderen Bereichen dieser Webseite noch beschäftigen wird.
1. Der Angriff auf Israel
Die hierzu relevanten Texte finden sich hauptsächlich in den Büchern Sacharja
(Kapitel 12 bis 14), Hesekiel (Kapitel 38 und 39), sowie Joel
(Kapitel 4). Aber auch an anderen Stellen der Bibel wie zum Beispiel in Daniel
oder der Offenbarung gibt es Hinweise auf dieses Ereignis.
Wenn auch die verschiedenen Autoren unterschiedliche Facetten beleuchten und
das Geschehen aus anderen Blickwinkeln betrachten, so gibt es im jeweiligen
Ablauf in der Hauptsache doch drei große Gemeinsamkeiten:
- ein umfangreicher, breit angelegter Angriff auf Israel
- Gott selbst greift rettend ein
- Israel findet zu seinem Gott zurück
Diese Gemeinsamkeiten sind so offenkundig, dass man mit Recht davon ausgehen
kann, dass es in allen drei Berichten um das gleiche Ereignis geht. Einige
kurze Beispiele aus diesen Texten sollen hier genügen (Sie sollten sich
allerdings die Zeit nehmen und alle Texte im Zusammenhang lesen):
- Sacharja:
14,2: „Da werden
ich alle Heidenvölker bei Jerusalem zum Krieg versammeln (...)“
14,3: „Aber der Herr
wird ausziehen und gegen jene Heidenvölker kämpfen, wie damals am Tag seines
Kampfes, am Tag der Schlacht.“
12,10: „Aber
über das Haus David und über die Einwohner von Jerusalem will ich den Geist
der Gnade und des Gebets ausgießen, und sie werden auf mich sehen, den sie
durchstochen haben, ja sie werden um ihn klagen (...)“
- Hesekiel:
38,9: „Du aber
wirst heraufziehen, herankommen wie ein Unwetter, du wirst sein wie eine finstere Wolke,
die das
Land bedecken will, du und alle deine Truppen und viele Völker mit dir.“
38,22: „Und
ich will ihn richten mit Pest und Blut (...)“
39,22: „Und das Haus Israel soll erkennen, dass ich der HERR ihr Gott bin,
von diesem Tag an und künftig.“
- Joel:
4,9: „Ruft
dies aus unter den Heidenvölkern, rüstet euch zum heiligen Krieg! Weckt die Helden
auf!
Alle Krieger sollen einrücken und hinaufziehen!“
4,16: „Und
der Herr wird aus Zion brüllen und von Jerusalem her seine Stimme hören lassen, dass
Himmel und Erde zittern (...)“
4,17: „Und
ihr werdet erkennen, dass ich, der HERR, eurer Gott bin, der ich in Zion wohne,
auf meinem heiligen Berg. (...)“
Schon eine oberflächliche Betrachtung dieser Texte macht deutlich, dass hier
nicht einfach irgendein Ereignis beschrieben wird. Gottes Eingreifen geht mit
Jesu Wiederkunft, seinem zweiten Kommen einher (vgl. vor allem Sach. 12,10 mit
Joh. 19,37 und Off. 1,7; Sach. 14,3-5 mit Apg. 1,10-12 sowie Hesek. 39,25 mit
Röm. 11,25-27).
In der letzten Zeit, noch vor Jesu Rückkehr, muss dieser Angriff
bzw. Krieg
stattfinden. Israel gerät in größte Not, wird nur durch Gottes Eingreifen vor
der völligen Vernichtung bewahrt - und findet zu Gott. Offensichtlich wird
Israel in dieser Zeit der Bedrängnis bereit sein, Gottes Hilfe in Jesus
Christus anzunehmen (Sach. 12,5; 13,8.9; Mt. 23,29).
In der Offenbarung wird dies
(bzw. die letzte Phase des Angriffs, der sich offensichtlich über einen gewissen
Zeitraum erstreckt) als die Schlacht von Harmagedon (Off.
16,13-16; 19,11-21) bezeichnet: Der Antichrist und seine Gefolgschaft werden
durch Jesus besiegt. Der Zusammenhang zwischen den alttestamentlichen Texten
und der Offenbarung erstaunt vielleicht zunächst, aber nicht der Inhalt, nur
die Betonung ist anders: Während sich die alttestamentlichen Texte v.a. auf den
Bezug zu Israel konzentrieren, sieht die Offenbarung diesen Angriff als einen
Angriff gegen Gott selbst. Dass hier aber das Gleiche gemeint ist, ergibt sich
u.a. daraus, dass in beiden Fällen nach Gottes Eingreifen auch seine offenbare
Herrschaft hier auf der Erde beginnt (vgl. etwa Sach. 14,8.9 mit Off.
19,11-16).
Die treibende Kraft, die versucht, Israel zu vernichten, ist niemand anderes als
der Antichrist selbst. Mit ihm sind alle anderen Staaten und Nationen (ggf. auch
in Form eines "Entsendemandates" o.ä.).
Einzelheiten dieses Angriffes
Wie schon erwähnt: Die Autoren geben dieses Ereignis aus unterschiedlichen
Betrachtungswinkeln wieder. Dies und die Symbolik der verwendeten Sprache, ein immer
wiederkehrendes Kennzeichen prophetischer Texte, machen es schwer, alles völlig
exakt zu erläutern und alles in eine genaue zeitliche Reihenfolge zu bringen. Sicher ist, dass dieser Angriff auf Israel anfangs große
Erfolge hat. Er wird zur Einnahme Jerusalems führen und zu der Wegführung eines
Teils der Einwohner in die Gefangenschaft (Sach. 14,2). Zu dieser Zeit wird
auch die Entweihung des Tempels und die Abschaffung des Opferdienstes erfolgen,
dazu später mehr.
Bei Gottes Eingreifen werden die Armeen der Nationen an einem ganz bestimmten
Ort versammelt sein. Joel spricht von der Talebene Joschafat. Da kein Tal mit diesem
Namen bekannt ist, liegt nahe, dass es sich hier um eine symbolische
Bezeichnung handelt. „Joschafat“ bedeutet: Der Herr hat gerichtet. Ein durchaus
treffender Name für diesen Ort!
Welche Talebene aber ist damit gemeint? Der Hesekiel-Text hilft hier nicht
viel weiter, da Hesekiel lediglich von den „Bergen Israels“ spricht, ein anderer
Ausdruck für das ganze Land Israel (vgl. Hesek. 19,9; 37,22). Die Erklärung
kann Off. 16,16 liefern. „Harmagedon“ ist die hebräische Bezeichnung für „Berg
von Megiddo“. Die antike Stadt Megiddo lag strategisch äußerst günstig an einem
Pass. Bei einer
größeren Schlacht in diesem Bereich wären sowohl die Berge im eigentlichen
Sinne, als auch die dortige Ebene betroffen.
Wie wird Gottes Eingreifen geschehen?
„Und der Herr wird aus Zion brüllen und von Jerusalem her seine Stimme
hören lassen (...)“ (Joel 4, 16)
Jesus wird bei seiner Rückkehr auf diese Erde durch Naturereignisse (Erdbeben,
Hagel etc. – Hesek. 38,19.22), ausbrechende Verwirrung, die zu einem Kampf der
Heere untereinander führt (Hesek. 38,21; Sach. 14,13) und durch eine
übernatürliche Plage, die Menschen und Tiere trifft (Sach. 14,12.15), die
feindlichen Heere vernichten. Israel wird Jesus nun endlich als Messias
anerkennen und auch geistlich neu erstehen.
2. Ein dritter Tempel?
Jeder, der sich mit endzeitlicher Prophetie schon einmal beschäftigt hat, wird früher
oder später auf die Frage gestoßen sein, ob vor der Wiederkunft Jesu in
Jerusalem noch ein neuer Tempel gebaut werden muss oder nicht. Es gibt hier
sowohl überzeugte Verfechter der Idee eines neuen Tempelbaus als auch
Kritiker derselben. Um sich mit dieser Frage auseinandersetzen zu können, ist
ein ausführlicher Blick ins Alte Testament, besonders in das Buch Daniel
notwendig.
In Daniel 9,27 und 12,11 ist von einem „Gräuel der Verwüstung“ die Rede. Diese
Stellen werden später noch ausführlicher erläutert, jetzt ist vorerst nur der
Begriff interessant. Zu beachten ist die schwierige und daher meist
unterschiedliche Übersetzung.
Daniel 9,27:
„Gräuelbild, das Verwüstung anrichtet“
(Luther)
„auf dem Flügeln von Gräueln kommt ein
Verwüster“ (Elberfelder)
„unheilvoller Gräuel“ (Einheitsübersetzung)
„Gräuel des Verwüsters"
(Schlachter)
Daniel 12,11:
„Gräuelbild der Verwüstung“ (Luther)
„verwüstender Gräuel“ (Elberfelder)
„unheilvoller Gräuel“
(Einheitsübersetzung)
„Gräuel der Verwüstung“ (Schlachter)
Das Wort, das hier mit „Gräuel“ (hebr. schikuz) wiedergegeben wurde, taucht noch
an 23 Stellen außerhalb Daniels im Alten Testament auf. Immer bezeichnet das
Wort etwas, das für Gott verachtenswert und abscheulich ist, meistens
personifiziert in der Gestalt eines Götzen (vgl. etwa 1.Kön.
11,7 und 2.Kön. 23,13).
Noch ein genauerer Blick auf Daniel 12,11: Bei allen Unterschieden sind sich
die Übersetzer einig, dass dieser Gräuel aufgestellt bzw. eingesetzt
(Elberfelder) werden wird.
Die Frage ist natürlich, wann und wo diese Aufstellung geschehen wird und was
damit eigentlich ausgedrückt werden soll. Eine Hilfe zum richtigen Verständnis
ergibt sich aus Daniel 11,31.
Die Ereignisse, von denen Daniel hier berichtet, haben sich bereits in
historischer Zeit erfüllt. Daniel sieht hier ein Ereignis voraus, dass für ihn
zwar noch in der Zukunft lag, für uns aber bereits lange der Vergangenheit
angehört. Im Jahre 167 vor Christus wurde Jerusalem durch Antiochus IV., ein
seleukidischer Herrscher, erobert. Dieser Mann verbot den jüdischen Opferdienst
und stellte einen Zeusaltar im Jerusalemer Tempel auf; für jeden Juden eine
unvorstellbare Beleidigung. Hier ist momentan weniger die Person Antiochus, als
vielmehr die Parallelität der Ereignisse von Bedeutung. Wenn sich das Wort aus
Daniel 11,31 in dieser Weise erfüllt hat, so ist zu vermuten, dass auch der
„neue“ (also noch unerfüllte) Gräuel in Beziehung zum Tempel in Jerusalem
steht.
Diese Vermutung wird durch das Wort Jesu aus Mt. 24,15 bekräftigt. Jesus
spricht davon, dass ein Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte stehen wird.
Jesus bezieht sich hier ausdrücklich auf die Daniel Stellen. Mit dem Ausdruck „heilige
Stätte“ ist nichts anderes als der jüdische Tempel gemeint; auch in Apg.
6,13.14 und 21,28 bezeichnet dieser Ausdruck den Tempel in Jerusalem. So wie in
alter Zeit der Tempel schon einmal entweiht wurde, so wird dies auch in der
Zukunft wiederum geschehen.
Ein Vergleich mit anderen Stellen aus dem Neuen Testament zeigt, dass es
nur ein Ereignis gibt, welches damit gemeint sein könnte. Paulus
schreibt in 2.Thes. 2,4:
„der (d.h. der Antichrist) sich widersetzt
und sich über alles erhebt, was Gott oder Gegenstand der Verehrung heißt,
so dass er sich in den Tempel Gottes setzt als ein Gott und sich selbst für Gott
ausgibt.“
Danach wird also der Antichrist sich (oder auch sein Bild, vgl. Off.
13,14.15) im Tempel als Gott verehren lassen.
Symbolisch oder wörtlich?
Der alte Streit um die Frage nach dem Tempelbau ist dadurch
entstanden, dass die Worte aus Matthäus und 2.Thessalonicher von manchen
Auslegern symbolisch verstanden und im übertragenen Sinne auf die Gemeinde
bezogen werden, also etwa in der Art, dass der Antichrist versuchen wird, die
Gemeinde zu verführen. Dies ist zwar an sich nicht verkehrt, denn der Antichrist
wird dies ja tatsächlich tun, allerdings halte ich die Auslegung in
diesem Zusammenhang für falsch: Jesus selbst bezieht sich auf Daniel und
damit auf das Alte Testament, wo zumindest bei diesen Stellen eben von Israel
und nicht von der Gemeinde gesprochen wird. Ich gehe fest davon aus, dass im
wortwörtlichen Sinne der Tempel wieder erbaut und wieder entweiht werden wird.
Genauso wortwörtlich ist dann auch die Aussage aus Daniel 9,27 zu verstehen,
dass einhergehend mit der Entweihung des Tempels auch der regelmäßige
Opferdienst abgeschafft wird.
3. Ein Bündnis Israels mit dem
Antichristen
Außer den Aussagen über die Entweihung des Tempels und die Absetzung des
Opferdienstes enthält Daniel 9,27 noch eine weitere wichtige Information. Laut
dieser Stelle wird „ein Bund mit vielen“ geschlossen werden. Bei „Europa“ wird
der ganze Abschnitt detaillierter behandelt. Hier sei nur soviel gesagt, dass
auch dieser Bundesschluss in der Endzeit liegen muss. Bei der Person, die
diesen Bund schließt, handelt es sich erneut um den Antichristen selbst.
Hier sei wieder auf die schwierige Übersetzung hingewiesen. Einige
Übersetzer (so z.B. Luther) übersetzen diese Passage mit „den Bund schwer
machen“, in der Bedeutung, dass der Antichrist das Halten des Bundes mit Gott
schwer macht. Die griechische, lateinische und die meisten englischen
Übersetzungen übersetzen dagegen ebenso wie die Elberfelder „einen Bund stark
machen“, eine Übersetzung, der ich mich anschließe.
Da es in diesem ganzen Abschnitt (Daniel 9,20-27) nur um Israels Geschicke
geht, wird Israel zwangsläufig an diesem Bund beteiligt sein.
Es gibt in der Bibel auch noch andere Hinweise:
So der in Hesekiel beschriebene Angriff auf Israel. In Hes. 38,11 heißt es: „Du wirst sagen: Ich will hinaufziehen in das
offene Land; ich will über die kommen, die ruhig und sicher wohnen; sie wohnen
ja alle ohne Mauern; sie haben weder Riegel noch Tore!“ und
in Vers 14: „So spricht Gott, der HERR: Wirst
du es zu jener Zeit nicht erkennen, dass mein Volk Israel in Sicherheit wohnt?“
Nun ist kaum eine Situation vorstellbar, in der Israel auf eine eigene
Verteidigung verzichtet, es sei denn, Israel wäre durch ein umfassendes Bündnis mit einem mächtigen
Partner geschützt.
Johannes 5,43: „Ich bin inm Namen
meines Vaters gekommen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer in
seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr annehmen.“
Spricht hier Jesus nur von einem der zahlreichen falschen Messiasse, die in
Israels Geschichte aufgetreten sind, oder spricht er von dem einen?
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Sacharja Kapitel 11. Hier wird in
symbolischer Weise die Ablehnung des guten Hirten durch das Volk und das
Aufkommen eines bösen Hirten danach beschrieben. Es kann hier auf diesen
Abschnitt, der zu den schwierigsten der ganzen Bibel gehört, nicht näher
eingegangen werden. Von einigen Auslegern wird er jedenfalls als Hinweis auf den
Antichristen verstanden: Jesus wurde durch das israelische Volk mehrheitlich nicht
angenomment, nun
wird es die Herrschaft eines anderen ertragen müssen.
4. Rückblick und Ausblick
Selbst wenn man nicht allen obigen Auslegungen völlig zustimmen will, so ist
doch offenkundig, dass nach der Bibel Israel in der Endzeit eine äußerst wichtige
Rolle spielt. Noch klarer ausgedrückt: Ein Staat Israel ist zwingend
erforderlich, damit wesentliche Ereignisse der Endzeit eintreten können. Ohne einen Staat
Israel kann es den vorausgesagten Angriff mit all seinen Folgen nicht geben.
Genauso wenig das angekündigte Bündnis. Und auch ein Tempel und ein
Opferdienst sind ohne eine staatliche Existenz Israels nicht recht vorstellbar.
Hier wird die „Zeitmesserfunktion“ Israels sehr deutlich, denn erst mit der
Neu- bzw. Wiedergründung des Staates Israel 1948 ist diese wichtige
Voraussetzung für Jesu Kommen erfüllt. Man darf hier das Wort Voraussetzung
nicht so verstehen, als wäre Gott in seinem Handeln von irgendwelchen
Bedingungen abhängig; andererseits wird sich die Bibel aber niemals selbst
widersprechen, also wird auch alles so geschehen, wie es vorausgesagt ist.
Das Besondere dieser Staatsgründung wird daran kenntlich, dass die Juden nahezu
2000 Jahre lang ohne einen eigenen Staat auskommen mussten, zerstreut in alle
Welt, häufig schwer verfolgt. Und auch noch vor rund 120 Jahren (Zionistenkongress
in Basel 1897) erschien eine staatliche Wiedergeburt vielen als unmöglich. Dann
aber überschlugen sich die Ereignisse: Der Erste Weltkrieg mit der Eroberung
Palästinas durch die Briten und die furchtbaren Ereignisse des Holocausts
machten (menschlich gesehen) den Weg frei für einen neuen Staat Israel.
Davon abgesehen, dass dieser Staat unerlässlich für die Erfüllung endzeitlicher
Ereignisse ist, ist die Wiedererstehung Israels auch noch unter einem anderen
Aspekt interessant: Der neue Staat Israel bezeichnet das Ende der Zerstreuung
und den Beginn der Sammlung der Juden.
So wie Gott den Israeliten die Zerstreuung androhte, so gab er auch an vielen
Stellen des Alten Testaments die Zusage der Sammlung. Beispiele sind Jes. 43,5-7;
Hesek. 20,40-44; 36,16-38; Am.
9,14.15).
Die Wiedergründung Israels ist nichts anderes als erfüllte Prophetie vor
unseren Augen. Gott sammelt sein Volk. Während 1948 etwa 500.000 Juden in
Israel lebten, so sind es heute bereits deutlich über 6 Millionen.
Vor zwei Missverständnissen sei hier gewarnt:
Zum einen ist es nicht notwendig darauf zu warten, dass wirklich alle Juden
noch vor der Wiederkunft Jesu nach Israel zurückkehren (momentan leben immer
noch viele der Juden außerhalb Israels), da der Abschluss der Sammlung erst im
1000-jährigen Reich erfolgen wird, was durch Bibelstellen wie Jes. 66,20 und
Zef. 3,19.20 ausgedrückt wird.
Zweitens darf die bereits geschehene politische und staatliche
Wiederherstellung Israels nicht mit der geistlichen, die noch in der Zukunft
liegt, verwechselt werden. Gerade Stellen wie Hesekiel 36 drücken
aus, dass die Sammlung aufgrund der Gnade und Barmherzigkeit Gottes und nicht
aufgrund Israels Verdienste geschieht. Und in der Analogie von dem Totenfeld in
Hesekiel 37 wird auch deutlich, dass zuerst die staatliche und dann die
geistliche Wiederherstellung erfolgen. Es ist also falsch zu behaupten,
dass die Staatsgründung Israels 1948 mit den Vorhersagen der Bibel nichts zu
tun hätte, weil es noch zu keiner echten Umkehr der meisten Juden gekommen sei.
Es ist manchmal erstaunlich, mit welcher Beharrlichkeit nach Vorwänden für eine
israelfeindliche Haltung gesucht wird.
Schon jetzt scheint deutlich, dass sich der Konflikt zwischen Israelis und
Palästinensern mit herkömmlichen menschlichen Mitteln kaum lösen lässt. Wie
groß werden die Bewunderung und der Dank der Welt für den Mann sein, der
(scheinbar) dieses Pulverfass entschärft?
Am Ende wird Israel menschlich gesehen wieder völlig alleine stehen; aber mit
der Gewissheit, dass Gott auf seiner Seite ist.Wo werden wir stehen?
III. Exkurs: Ist Israel noch Gottes erwähltes Volk?
Viel Verwirrung in dieser Frage entsteht dadurch, dass nicht unterschieden wird
zwischen der Erlangung des Heils, also eine Frage, die jeden persönlich
angeht, und zwischen der Stellung Israels als Volk im Ganzen.
1. Nach dem (ersten) Kommen Jesu und seiner Erlösungstat gibt es in Bezug auf
das Heil keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Nichtjuden. Paulus schreibt
im 10. Kapitel des Römerbriefs deutlich, dass nun alleine der Glaube oder
Nichtglaube an Jesus Christus entscheidend ist; das gilt selbstverständlich
auch für die Juden.
2. Die Menschen, die an Jesus Christus glauben, egal ob Jude oder Nichtjude,
bilden nun gemeinsam Gottes erlöstes Volk. Sie alle, egal
„ob Jude oder Grieche, ob Sklave oder Freier, ob Mann, ob Frau“ sind nun eins
geworden in Christus (Gal. 3, 26-29).
3. Folgt aber daraus, dass nun Israel seine Stellung als erwähltes
Volk verloren hat? Gelten alle Zusagen und Verheißungen für Israel aus dem Alten Testament
nun nicht mehr oder nur noch für die Gemeinde? Anhand der Bibel kann die
Antwort hier nur Nein lauten!
a) Die Erwählung Israels steht außerhalb des mosaischen Bundes (des Gesetzes)
Sie steht außerhalb des mosaischen Bundes, der mit Jesu Kommen erfüllt und
beendet wurde, da sie Abraham schon lange vor der Einführung des Gesetzes, ja
sogar vor seiner eigenen Beschneidung zugesagt wurde. Paulus verwendet diese
Tatsache analog im Kapitel 4 des Römerbriefs, um zu zeigen, dass auch Abrahams
Glaube außerhalb des Gesetzes steht.
Mit der Erfüllung des Gesetzes durch Jesus (Röm. 10,4; Hebr. 10,9.10) wurde
nicht der Bund mit Abraham (und damit die Erwählung Israels) beendet.
b) Auch Israels Unglaube hat daran nichts geändert
Paulus stellt in Röm. 11,1 die rhetorische Frage,
ob Gott sein Volk verstoßen hätte
und gibt gleich die eindeutige Antwort:
„Das sei ferne! (...) Gott hat sein Volk nicht verstoßen,
das er zuvor ersehen hat.“ (Vers 1 und 2)
„Denn Gottes Gnadengaben und Berufung können
ihn nicht reuen.“ (Vers 29).
Im Griechischen steht für „das sei ferne“ ein Ausdruck der aller stärksten
Verneinung.
Aus dem Zusammenhang ist hier eindeutig von Israel, nicht von der Gemeinde die
Rede. Israels Erwählung gilt also nach wie vor.
c) Gleiches Ziel, getrennte Wege
Paulus sieht gerade keine völlige Verschmelzung zwischen Israel und der Kirche,
zeigt er doch in Vers 25ff. für Israel einen separaten Weg auf, wenn auch
freilich mit dem gleichen Ziel. Es gibt also durchaus noch Unterschiede
zwischen christlicher Gemeinde und Israel. Das deutet auch Jesus selbst in Lk.
21,24 an.
d) Die Verheißungen des AT bezüglich Israels reichen in den Neuen Bund hinüber
Sie reichen hinüber, da sie niemals aufgehoben wurden.
Wenn Gott etwa sagt, dass er Israel das Land für alle Zeiten gibt, so kann man
diese Aussage nicht willkürlich umdeuten. Wer würde Aussagen über das zweite
Kommen Jesu umdeuten, nur weil sie im Alten Testament stehen?
Sie reichen hinüber, da sich ein Teil auch in der Zeit des Neuen Bundes bereits
erfüllt hat.
Hier sei nur die bereits oben erwähnte (Teil-)Erfüllung der alten Verheißung
der Sammlung Israels erwähnt.
Übrigens, Gott liebt alle Menschen! Er liebt genauso die Araber und hat für sie
wunderbare Verheißungen. Aber - die besondere Stellung Israels als Volk besteht nach
wie vor.
Die Frage sollte also weniger lauten, ob Israel noch Gottes erwähltes Volk ist,
als vielmehr, wie wir als Christen Israel unterstützen und ihm beistehen können.
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